Licht muss sein

Yanick Kemayou
Afrika. Auf Deutsch!
5 min readAug 11, 2019

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Alle außerhalb Ostwesfalens lebende PaderbornerInnen sind ja leichte Beuten bei Small-Talks.

„Ach ja, Du kommst aus Paderborn? Ich war mal dort für zwei Tage und es hat die ganze Zeit geregnet. Ein wirkliches Regenloch, oder?!“

Das ist die einfachste Attacke. Mit einer Prise Selbstironie wird es abgewickelt, indem man den bekannten Spruch auflaufen lässt: „In Paderborn entweder es regnet oder es läuten die Glocken und wenn beides gleichzeitig ist, ist es Sonntag!“ Alle lachen, aber die Sache ist noch nicht gewonnen. Denn weitere Angriffsflanken neben dem Wetter sind der provinzielle Geist, die vielen Dramen um den SC, oder sogar die Anzahl der Ampeln. Aber auch diese lassen sich üblicherweise relativ leicht kontern. Ja, das alles mag stimmen. Aber wir haben eine fünfte Jahreszeit, die Ihr alle nicht habt. Libori! Akzessorisch kann man, je nach GesprächspartnerIn, noch auf das Quellengebiet oder das berühmte Treffen von Juli 799 verweisen. Oder auch auf die Uni; eine Top-Uni, die sogar im Ranking der erfolgreichen Startups-Gründer bundesweit auf Platz 3 kommt. Spätestens dann wird‘s klar. Paderborn überzeugt.

Paderborn, Blick auf den Königsplatz und den Dom.
Paderborn by Night. Blick auf den Königsplatz und den Dom. Photo: Yanick Kemayou.

Letzten Freitag saß ich in der Pariser Metro, eine deutsche Zeitung lesend. Ein zufälliges Gespräch entwickelte sich mit dem Fahrgast mir gegenüber. Ein Berliner, auch in Paris lebend.

„Ach ja, Du kommst aus Paderborn? Was ist denn bei Euch los? Wieso kann man eine solche Aussage vor Eurer Elite treffen und dazu noch Beifall ernten?“

Gemeint war natürlich die Tönnies-Show beim Tag des Handwerks. Wie man sich aus einem ungünstigen Small-Talk zu Paderborn herauswindet, hatte ich bereits unzählige Mal geübt. Diesmal war es anders.

Ich bin einer von diesen Kindern, die nach Tönnies Gedankengut im Dunklen produziert wurden. In der zentralafrikanischen Kleinstadt Bafoussam geboren und aufgewachsen, erlebte ich am eigenen Leib die Perspektivlosigkeit, die Millionen von jungen AfrikanerInnen um den Schlaf oder gar das Leben bringt. Als achtzehnjähriger Studierender emigrierte ich dann nach Deutschland. Nicht auf der Flucht vor Bomben, sondern auf der Suche nach einer besseren Zukunft. Ein Wirtschaftsflüchtling. Ich kam nach Paderborn. Ich kam in Paderborn an. Studierte, jobbte, engagierte mich in der Gesellschaft, half Kinder bei Hausaufgaben im Jugendzentrum, schrieb einen erfolgreichen Antrag bei der Bürgerstiftung für ein Jugendprojekt in einem sozialen Brennpunkt, mitbegründete einen Verein für afrikanische Studierende, half der Stadtverwaltung bei der Gestaltung von bildungsorientierten Integrationsprojekten, joggte beim Padersee, teilte meine Blues-Leidenschaft mit meinem pensionierten Nachbarn, mit dem ich Schallplatten von Son House, Howling Wolf usw. tauschte. Ja, ich kam in Paderborn an.

Dass ein Fußball-Funktionär wirres Zeug von sich gibt ist eine Sache; viel schwieriger zu erklären, ist der Beifall, den Herrn Tönnies nach seinen rassistischen Äußerungen bekam. Der Fremde aus Berlin wollte unbedingt eine Antwort. Parat hatte ich keine überzeugende. Dann kam von ihm schnell das gängige Klischee

„Schwarz — Münster — Paderborn“.

Er lachte. Alles klar.

Ich selbst habe schon mehrmals vor ostwestfälischen Wirtschaftsvertretern in Festanlässen gesprochen; mal in der Bielefelder Rudolf-Oetker-Halle vor dem Industrie- und Handelsclub OWL oder mal in Paderborn vor Mitgliedern der Unternehmensgruppe OWL. Nie hatte ich das Gefühl vor einem Haufen Rassisten zu sprechen. Nein, Paderborn ist es nicht. Während ich versuchte, dem Berliner dies glaubhaft zu machen, hatte ich einen Einfall.

Der Satiriker Wiglaf Droste, gebürtiger Herforder, sagte mal in Westfalen liefe alles langsamer, da Westfalen tief melancholische Wesen seien. Sprach ich vom Blues? Vielleicht erklärt dies, warum der Beifall auch zeitversetzt kam. Vielleicht kommt ja noch eine Auseinandersetzung mit dem Fall seitens der Kreishandwerkerschaft. Sich hinter der Meinungsfreiheit des Festredners oder einer angeblichen Hypersensibilität des berichtenden Medienvertreters zu verstecken, waren vielleicht nicht die besten Ideen. Da lachte der Berliner wieder und sagte er wäre da nicht so optimistisch. Ich musste sowieso aussteigen.

War die Aussage ein „Ausrutscher“, eine „Entgleisung“, eine „völlig missglückte Rede“ oder „rassistisch“? Darüber scheint ganz Deutschland zu streiten.

Und manche Beiträge zeigen derweil bizarre Züge. Nehmen wir als Beispiel diesen sozialdemokratischen evangelischen Theologen; also ganz und gar kein Paderborner! Wenn wir schon mal bei Pauschalisierungen sind… Um das Ausmaß der angeblich drohenden Masseneinwanderung von Afrika nach Europa zu veranschaulichen, schlägt er vor, dass wir „auf einem Globus die Größe Afrikas und Europas vergleichen“ sollen. Afrika ist so viel größer als Europa, dass AfrikanerInnen Europa überschwemmen werden. Soweit die These. Fakt ist, im Vergleich zu Europa ist Afrika unterbevölkert. Noch einmal: Afrika ist unterbevölkert. In Europa leben 73 Menschen pro Quadratkilometer, in der EU sogar 118. Hingegen teilen sich im Schnitt gerade mal 34 Afrikaner einen Quadratkilometer. Ein auf einer durchschnittlichen Fertilitätsrate von 4,4 Kindern pro Frau basierendes Bevölkerungswachstum ist eine Tatsache; aber eine ausufernde Überbevölkerung kann derzeit nur herbei fantasiert werden.

Herrn Tönnies‘ Aussage ist rassistisch und basiert auf dem altbewährten Klischee der unmündigen AfrikanerInnen, denen man Zivilisation und alles, was dazu gehört, beibringen muss. Sogar wie sie ihre Familienplanung zu gestalten haben. Der Sache fehlt ganz und gar nicht an Komik. Wir in Deutschland sollen, „ehrlich und dringend“, über die Familienplanung von Menschen in Afrika diskutieren. Da diese Menschen doch nichts allein können. Außerdem bekommen wir unsere eigene Familienplanung so gut hin, dass die Bevölkerung schrumpft. Logisch.

Die rassistische Pauschalisierung des im Dunklen kinderproduzierenden Afrikaners ist was, sie ist. Das mit dem Bäumenfällen ist aber eine perfide Ungerechtigkeit. Es ist das auf der offenen Wunde zerdrückte grobe Salz. Die Menschen Afrikas vorwiegend als Täter der Klimakrise durch das Fällen von Bäumen zu porträtieren, ist brutal ausverschämt. Natürlich gibt es auch in Afrika Menschen, die einen erdrückenden ökologischen Fußabdruck haben. All die Privilegierten, die öfter unterwegs mit dem Flugzeug sind, Fleisch gerne und öfter essen, Häuser mit Klimaanlagen bewohnen usw.; also Menschen, die ziemlich genau so leben, wie einE durchschnittliche deutsche GewinnerIn der Globalisierung.

Für die allermeisten in Afrika aber ist die Klimakrise eine unverschuldete Katastrophe. Menschen mit einer extrem geringen ökologischen Schuld, die jetzt mit kaum vorhandenen Ressourcen eine Menge Unbill ausbaden müssen.

Die ökologische Schuld der Nationen: Extrahierte natürliche Rohstoffe zwischen 1950 und 2010 in Tonnen pro Hektar (Aus: A. Mayer & W. Haas, Cumulative material flows provide indicators to quantify the ecological debt, Journal of Political Ecology, Volume 23, 2016, pp. 350–363).

Diese Menschen haben glücklicherweise zum Teil ein endogenes Wissen, das eine bessere Harmonie zwischen Natur und Menschen gewährleistet. Und dort sollten wir ansetzen. Anstatt hier über deren Familienplanung zu diskutieren, sollten wir vielleicht stärker versuchen, eine gemeinsame Sprache zu finden. Die würde uns ermöglichen, zügig Strukturen des Wissensaustausches und -Transfers zu schaffen, um die lang anhaltenden Epistemizide zu stoppen. Es geht um das kollaborative Erschaffen von alternativen Zukünften. Dabei müssen wir uns zum Beispiel fragen, ob der Weg dorthin durch Kraftwerke oder durch dezentrale Versorgungssysteme und Kleinserienfertigung führt; oder auch welchen Platz lokale Architekturformen haben, d.h. ob das westafrikanische Städtchen Hamdallaye so aussehen soll wie Hamm in Westfalen. Solche Fragen können durchaus gemeinsam ausdiskutiert werden. Nur unter einer Bedingung. Licht muss schon sein. Vielleicht bei den „Afrikanern“. Aber auch in den Köpfen hier.

Indigene Architektur in Ségou, WestAfrika, Mali.
Indigene Architektur in Ségou; Photo: Max Brunnert.

Dr. Yanick Kemayou ist der Gründer von Kabakoo Academies, einem panafrikanischen Netzwerk von indigen-inspirierten und technologisch-orientierten Akademien. Er glaubt und arbeitet an besseren Formen des Lernens für Afrika. Wenn Sie ein Gespräch über (Aus)Bildung und Technologie in afrikanischen Kontexten führen möchten, können Sie sich gerne mit ihm in Verbindung setzen.

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Yanick Kemayou
Afrika. Auf Deutsch!

Innovating technology education for the Africas. Founder of Kabakoo Academies.